Dienstag, 19. Juli 2011

Die unglaubliche Reise durch den spanischen Bürokratiedschungel

oder 

Es gibt Tage, an denen man nicht so viel essen kann, wie man kotzen möchte.


Donnerstag, 20. Mai 2004

Nachdem unsere gute Bekannte Barbara mir erzählt hat, dass sie innerhalb einer Woche die spanischen Nummernschilder bekommen habe, ist es jetzt für mich auch Zeit, diese Sache in Angriff zu nehmen. Zumal bald Mitte Jahr ist und die Versicherung und Zulassung in der Schweiz  für das zweite Halbjahr fällig wird. Ich melde mich im Rathaus als hier wohnhaft an und beantrage mit dieser Anmelde-Bestätigung (Empadronamiento) bei der Nationalpolizei in Elche eine  N.I.E.-Nummer (Numero Identificacion Extranjero).


Donnerstag, 10. Juni 2004

Heute kann ich das Schreiben mit der N.I.E.-Nummer in Elche abholen.

Freitag, 11. Juni 2004 

Jürgen, ein Freund mit guten Spanischkenntnissen erklärte sich bereit, mit mir zum ITV nach Orihuela, den spanischen TÜV, zu fahren. Dort schickt man uns, wie erwartet, zuerst zum Zoll nach Alicante. Also fahren wir nach Alicante und fragen uns zum Zoll durch. „Ja, ja“ sagt man uns dort, „sie sind hier schon richtig, aber zuerst müssen sie zu einem Zollagenten.“ Wir erhalten eine Liste mit verschiedenen Adressen von besagten Zollagenten. Jene, die am nächsten ist, lesen wir aus und gehen dahin. Wir müssen alle Papiere, resp. Kopien davon,  da lassen und der Agent würde mich dann anrufen, wenn die Zollformulare ausgefüllt seien. Da in den Köpfen der Spanier die Schweiz nicht zur EU gehört, (von bilateralen Verträgen haben sie sowieso noch nichts gehört!) brauche ich ein Dokument vom Schweizerischen Konsulat. Das « Certificado de Nacionalidad y de matricula » bestätigt, dass ich Schweizerbürger bin und auch da wohnhaft war. Es bestätigt weiterhin, dass ich in der Schweiz ab- und beim Schweizer Konsulat in Barcelona angemeldet bin. Ich muss sogar die Abmeldebestätigung von der ehemaligen Wohngemeinde an das Konsulat faxen. Dann  schickt man mir dieses Certificado, aber natürlich per Nachnahme: Kostenpunkt 30.00 Euros.


Montag, 21. Juni 2004


Heute trifft das begehrte Dokument vom Konsulat ein. Ich fahre mit Jürgen unverzüglich nach Alicante zum Zolldeklaranten, um es da abzuliefern. Nicht ohne es vorher gefaxt zu haben. Der ganze Aufwand war leider umsonst, die Schweiz gehört nach wie vor nicht zur EU, also muss ich Zoll bezahlen. Na ja, was will man machen.


Mittwoch, 30. Juni 2004


Endlich kommt das Telefon und ich kann das begehrte Zoll-Formular abholen. Jürgen kommt wieder mit als Dolmetscher. Jetzt wird die erste Rechnung fällig: 380.00 Euros. Leider haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht, es braucht nämlich noch ein weiteres Formular, das Certificado para matricula de vehiculos a motor. Der Zollagent rubbelt mit einem Papierstreifen und einem Bleistift die Chassis-Nummer ab, und das zwei Mal.

Wenn dieses Papier bereit ist, ruft er mich wieder an!

Dienstag, 13. Juli 2004


Heute ist auch das Certificado para matricula de vehiculos a motor zum Abholen bereit. Also fahren wir wieder nach Alicante. Diesmal kostet es, oh Wunder, allerdings nichts!!

Montag, 19. Juli 2004


Weil Jürgen diese Woche Feriengäste hat, ist er leider unabkömmlich. So beschliessen Brigitte und ich, trotz unserer spärlichen Spanischkenntnisse (Brigitte spricht aber fliessend Italienisch), nach Orihuela zum ITV zu fahren und es einfach mal zu probieren. Bevor wir das Auto vorführen können, braucht es allerdings das Formular „Ficha de reducia“, das ein Ingenieur  von der Firma ATRAIN, die sich im Nebengebäude befindet, ausstellt. Der freundliche Herr vom ITV meint, wir könnten entgegenkommenderweise trotzdem das Auto prüfen lassen und dieses Dokument morgen nachliefern.  Das Auto hat die Prüfung übrigens anstandslos bestanden.


Dienstag, 20.Juli 2004


Am Morgen fahren wir nach Orihuela zur Firma ATRAIN, um vom Ingenieur das Auto begutachten zu lassen. Er misst, wie am Vortag beim ITV geschehen, nochmals Radstand, Höhe, Breite etc., rubbelt nochmals mit zwei Papierstreifen die Fahrgestellnummer ab und schaut ganz fest in den Motorraum. Die Distanz von Mitte Hinterrad zur Stossstange misst er mit dem Karton, der ihm als Schreibunterlage dient. Trotzdem ist das Mass nachher millimetergenau  dokumentiert. Er könne dieses Formular jedoch nicht sogleich ausstellen, er würde uns aber anrufen, sobald es bereit sei.
Um etwa 17 Uhr ruft er tatsächlich an, das Formular sei bereit. Also fahren wir am selben Abend nochmals nach Orihuela, zahlen 90 Euro und bekommen das Papier. Wir tragen es ins Nebenhaus zum ITV und geben es da ab. Nach der Mitteilung, es dauere etwa 1 ½ Stunden, haben wir gesagt, dass wir dann morgen früh um 8.00 Uhr wieder kommen würden. Er war sehr erfreut und meinte: Muy bien, muy bien. (Kein Wort davon, dass er erst um 9 Uhr zu arbeiten beginnt. Aber das wussten wir ja noch nicht.)


Mittwoch, 21.Juli 2004


Um 08.15 fahren wir noch einmal nach Orihuela, um das Formular „Tarjeta inspección Técnica“ abzuholen. Wie wir da sind heisst es, der Sachbearbeiter komme erst um 9.00 Uhr!! Das hätten wir gerne gestern schon gewusst.  Eine Frau vom Schalter nebenan geht nachschauen und sagt, das Formular „Ficha de reducia“ sei nicht hier. Wir sagen ihr, dass wir es gestern persönlich abgegeben hätten. Nun, es sei eben nicht zu finden. Also, Kaffee trinken und warten. Um 9 Uhr erscheint der Sachbearbeiter tatsächlich. (Nur gut, dass er uns wieder erkannt und sich an dieses Formular erinnert hat, sonst wären wir schön am Ar........ gewesen.) Es dauerte allerdings nochmals 10 Minuten, weil das Formular „Tarjeta inspección Técnica“ erst geschrieben werden musste!!

Anschliessend sind wir direkt zum Trafico (Strassenverkehrsamt) nach Alicante gefahren. Eine riesige Menschenschlange steht auf dem Trottoir. Wir stellen uns hinten an. Nach etwa einer halben Stunde gehe ich mal schauen, wo diese Schlange überhaupt hinführt. Schockiert stelle ich fest, dass eine grosse Schalterhalle gerammelt voll von Wartenden ist. Keine Chance, hier vor Schalterschluss um 13.30 Uhr noch hinein zu kommen. Also fahren wir unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Wir beschliessen, dass Brigitte morgen alleine fährt, weil ich zu Hause zu tun habe.

Und weil wir gerade so schön viel Zeit haben, fahren wir auf dem Nachhauseweg zur SUMA, das ist die Organisation, welche die Steuern für die Gemeinden einzieht. Hier wird die Verkehrssteuer fällig. Natürlich haben wir nicht daran gedacht, alles und jedes zu fotokopieren. Auf meine Frage, ob sie das nicht hier machen könne, sagt die Dame, dass sie keinen Kopierapparat hätte. Also, in der Bruthitze durchs Dorf marschieren, um eine Papeterie zu suchen. Als wir dann zurück sind, müssen wir uns natürlich wieder hinten anstellen. Eine Frau wird gerade bedient. Die Dame hinter dem Schreibtisch steht auf mit zwei oder drei Formularen, vermutlich Rechnungen, in der Hand und geht nach hinten. Nicht zu glauben, aber sie kommt mit Fotokopien zurück. Als wir endlich wieder auf dem Stuhl sitzen und in den Hinterraum blicken können, was sehen wir dort???? Richtig, einen Fotokopierer! Was soll’s, eine Schikane mehr oder weniger. Irgend wann werden den Spaniern die Ausländer ausgehen.  Am Schluss dürfen wir  € 25.20 bezahlen, zwar nicht hier, aber auf der nächsten Bank.


Donnerstag, 22. Juli 2004


Um 07.15 fährt Brigitte los, um sich diesmal frühzeitig vor Trafico anzustellen. Um 08.45 Uhr telefoniert sie, dass sie ein Formular erhalten habe, das ich persönlich  unterschreiben müsse, eine Vertretung sei nicht möglich. Also, wieder zurück fahren. Dieses Formular enthält Angaben, die alle aus der „Tarjeta inspección Técnica“ zu entnehmen wären. Zudem ist eine Vertretung durchaus möglich, wovon die Schalterbeamtin natürlich nichts sagt. Im Gegenteil, sie sagte, ich müsse persönlich unterschreiben.


Freitag, 23. Juli 2004


Genau um 7.09 Uhr fahren wir los, um wiederum möglichst früh beim Trafico anzustehen. Es ist 7.40 Uhr als wir dort ankommen und schon steht eine ganze Reihe hier, obwohl erst um 8.30 Schalteröffnung ist. Wir kommen auch relativ bald rein und gehen zuerst zur Kasse, um die € 65.20 zu bezahlen. Dann stellen wir uns mit der Nummer 703 am Schalter an. Ein freundlicher Herr kontrolliert alle Unterlagen und meint am Schluss, es fehle das Formular „Impuesto especial sobre determinados medios de transporte.“ Wir bekämen dieses Formular bei Delegaciones Provinciales de Ministerio de Hacienda am Plaza de la Montañeta. Das Formular hat die Bezeichnung: Modelo 565. Also nehmen wir diesen Fussmarsch von 10 Minuten an die Plaza de la Montañeta unter die Füsse. Dieses Formular gibt es tatsächlich und wir dürfen auch 40 Cents dafür bezahlen. Kein Mensch erklärt uns aber, was damit zu machen sei. Also fülle ich es aus mit N.I.E.-Nummer, Name, Adresse, einfach alles, was ich bereits 100 Mal ausgefüllt habe. Zurück beim Trafico legen wir dieses Dokument stolz auf den Schalter im naiven Glauben, dass wir nun alles erledigt hätten. „Nein, nein, da fehlt der Betrag darauf und bezahlt ist auch noch nichts“ sagt uns der freundliche Herr hinter der Glasscheibe. Diese Angaben würden wir bei Delegaciones Provinciales de Ministerio de Hacienda am Plaza de la Montañeta erhalten. Also, nochmals den ganzen Weg zurück, sind ja bloss zwei mal zehn Minuten, und das bei über 30o Celsius. Nachdem wir uns bei diesem Ministerium durchgefragt haben, wissen wir, dass weitere 35,70 Euros fällig werden. Das können wir aber nicht hier bezahlen, sondern müssen dazu zu irgend einer Bank gehen. Also machen wir das auch und gehen zum Trafico zurück. Nachdem wir das nun endlich vollständig ausgefüllte Formular, inkl. Einzahlungsquittung dem freundlichen Herrn vorgelegt haben, gibt er uns tatsächlich eine Kopie des Formulares „Solicitud Matriculación“ mit dem Vermerk darauf: Lunes: 11’45, Pedir No en information“. Für alle, die des Spanischen nicht mächtig sind heisst das, dass wir am Montag um 11.45 Uhr am Informationsschalter eine Nummer abholen können.

Nachdem das Nummernschild dann irgendwann ein Spanisches sein wird, muss ich angeblich auch meinen Führerschein registrieren lassen. Also gehen wir wieder zum Informationsschalter, um die nötigen Formulare zu verlangen. Man gibt mir ein „Solicitud de canje del permiso de conducción“, was ein Gesuch um Umtausch der Fahrerlaubnis bedeutet. Seit 1996 müssen gemäss EU-Richtlinien die Führerscheine allerdings nicht mehr umgetauscht, sondern nur noch registriert werden.


Montag, 26. Juli 2004 (Dies ist der härteste und frustrierendste Tag der ganzen Reise)


Heute sind wir etwas später losgefahren, weil wir ja die Nummernschilder erst gegen 12 Uhr abholen können. Um etwa 9.45 Uhr treffen wir beim Trafico ein. Zu unserer Freude ist die Warteschlange vor dem Informationsschalter, wo wir unsere Warte-Nummer abholen können,  nicht all zu lang. Brigitte stellt sich also da an, derweil ich mich bei der Warteschlange zur Kasse anstelle. Ich muss ja zuerst die € 16.20 für die Umschreibung des Führerscheins bezahlen. Hier ziehe ich die Nummer 689 und 49 Clientes sind vor mir dran. Brigitte bekommt die Nummer 728 und auf dem Talon steht sogar, dass nur 10 Clientes vor uns sind. Als unsere Nummer 728 am Schalter 6 aufgerufen wird, gehen wir mit der leisen Befürchtung dorthin, dass wir zu früh sind, es ist ja erst 20 Minuten nach 10 Uhr. Und tatsächlich schüttelt der nette Herr hinter der Glasscheibe den Kopf und zeigt auf den Vermerk auf dem Abholungsschein, dort steht nämlich klipp und klar: 11’45 Uhr!! Also stellen wir uns nochmals hinter der Warteschlange zum Informationsschalter an, um eine spätere Nummer zu holen. Diesmal ist es die Nummer 753 und wieder nur 10 Clientes vor uns. Also warten wir nochmals vor dem Schalter 6 und das Pech will es, dass wir wieder zu früh sind. Es ist einfach nicht abzuschätzen, wie lange die Wartezeit sein muss, um nicht vor 11.45 Uhr vor dem Schalter zu stehen. Ich kann einfach nicht glauben, dass die Nummern-Zuteilung für das Autokennzeichen erst um 11.45 Uhr erfolgt. Wenn es um 11.45 bereit ist, ist es bestimmt auch schon um 10.45 bereit. Unglaublich aber wahr, wir stellen uns zum dritten Mal in die Kolonne und erhalten dann die Nummer 782. Wir hoffen, dass die fünf Clientes vor uns ganz langsam abgefertigt werden, damit wir nicht wieder zu früh sind. Und tatsächlich ist es erst 11.43 Uhr, als wir wiederum, zum dritten Mal, an der Reihe sind. Wir sind halt einfach zu früh, ganze 2 (!) Minuten fehlen noch. Die Nummer ist noch nicht da! Der nette Herr ist jetzt nicht mehr so nett. Er steht auf und verschwindet irgendwo im Hinterraum. Als er nach ein Paar Minuten wieder erscheint, es ist mittlerweile 11.48 Uhr, schmeisst er uns die Papiere hin und starrt auf seinen Bildschirm. Was wir hier erhalten sind natürlich nicht die Schilder, sondern nur die Ausweise, worauf das Autokennzeichen vermerkt ist. Die Schilder müssen wir in einem der Geschäfte auf der gegenüberliegenden Strassenseite anfertigen lassen und auch gleich die 30 Euros bezahlen. Halleluja, die Schilder haben wir jetzt endlich. Wir legen Sie in den Kofferraum unseres Autos und nehmen die andere Sache noch in Angriff.

Wir haben ja immer noch die Nummer 689 für die Umschreibung des Führerscheins. Ich will’s kurz machen. Dafür braucht es ein ärztliches Attest das aussagt, dass man fähig ist, ein Auto zu fahren. Im ersten Büro werde ich gefragt, ob ich gesund bin. Kein Diabetes, keine Drogen, keine Medikamente, keinen Bluthochdruck (mit Ausnahme von heute). Im zweiten Büro legt mir ein Herr ein Stück Papier hinter das eine Brillenglas und bittet mich, eine Buchstabenreihe zu lesen. Muy bien, muy bien. Dann das andere Auge.  Im dritten Büro muss ich mit zwei weissen Punkten zwei roten Balken folgen, ohne dass es zu oft hupt, wenn ich die Balken verliere. Das war’s. Ich muss ein Foto und 30 Euros abgeben und erhalte dafür meine Bestätigung. (Als Militärmotorfahrer und Ambulanzfahrer und auch Inhaber der Fahrkategorie für gewerbsmässigen Personentransport kenne ich die medizinischen Eignungstest einigermassen. Dieser Test jedoch spottet jeder Beschreibung, er ist eine reine Farce.) Ich habe jetzt alle Papiere zusammen und nun beginnt das grosse Warten, bis die 49 Clientes vor mir abgefertigt sind. Um etwa 13.30 Uhr, knappe 4 Stunden nach unserem Eintreffen, erscheint unsere Nummer auf der Anzeigetafel von Schalter vier. Der lange Rede kurzer Sinn: Ich konnte meinen Führerschein nicht umschreiben lassen, weil ich nicht beweisen konnte, dass ich schon länger als 185 Tage hier in Spanien lebe, obwohl ich den Damen (es waren mittlerweile deren drei) vorlegte, dass ich eben mein Auto von Schweizer Kontrollschildern auf spanische umgemeldet habe. Die eine, die etwas Deutsch sprach, machte dann den Vorschlag, ich solle doch mit ihrem Chef reden, er sei am Schalter 1 zu finden. Der scheint diesen Aufruhr mitbekommen zu haben, denn, wie er uns kommen sieht, steht er auf und geht davon.

Ich gebe es auf und fahre halt mit meinem schweizerischen Führerschein. Ich habe genug von den Schikanen! Von wegen Führerschein registrieren statt umschreiben lassen, wie es angeblich seit 1996 von der EU vorgeschrieben ist: Davon wissen die Verantwortlichen im spanischen Verkehrsamt nach acht Jahren noch nichts!!


Ganz ehrlich, ich kann gar nicht so viel essen.

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